Kanzlercheck 2017 Drei Fragen an die Linke

04. September 2017, 16:43 Uhr

Die heutige Linke (auch Linkspartei genannt) wurde gegründet, als sich im Jahr 2007 die SPD-Abspaltung WASG und die Linkspartei PDS zusammen getan haben. Für die Bundestagswahl 2017 treten Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch als Spitzenkandidaten an. Und das sind die Antworten der Linken auf unsere Fragen:

1. Thema: Sicherheit

Rieke will im Sommer auf ein Festival gehen, hat seit dem Anschlag in Berlin jedoch Angst vor großen Menschenansammlungen. Thomas hat beim Shoppen im Einkaufszentrum immer noch den Amoklauf in München im Kopf. Und Sarah geht nicht mehr so gerne auf Demos, weil es dort oft zu Ausschreitungen kommt. Anschläge, Amokläufe, politische Kriminalität:

Welche konkreten Maßnahmen wollen Sie ergreifen, dass Rieke, Thomas und Sarah sich in Zukunft wieder sicherer fühlen?

Antwort der Linken

Damit sich Rieke, Thomas und Sarah wieder sicherer fühlen, ist es notwendig zu einer effektiven Gefahrenabwehr durch die Polizei zu gelangen. Durch massiven Stellenabbau einerseits und vollkommen falsche Prioritätensetzung andererseits ist es hier zu einem starken Ungleichgewicht gekommen. So wird auch der Besitz kleiner Mengen Marihuana zum Eigenverbrauch zur Anzeige gebracht, wenngleich die Verfahren in 99% der Fälle wieder eingestellt werden. Das gleiche gilt für Flüchtende, die erst einmal wegen illegalen Grenzübertritts angezeigt werden, obwohl auch hier alle Verfahren eingestellt werden. Solche Maßnahmen binden viele Stunden Polizeiarbeit, die andernorts besser aufgehoben wären.

DIE LINKE möchte keinen weiteren Ausbau des Überwachungsstaates, denn weder eine Überwachungskamera, noch eine massenhafte Überwachung der Bevölkerung verhindern auch nur eine Straftat. Am Beispiel Berlin kann man sehen, dass eine aktive Deeskalationsstrategie bei Demonstrationen deutlich effektiver ist als auf Abschreckung zu setzen.

Noch wichtiger als die Präsenz von gut ausgebildeten Polizistinnen und Polizisten ist jedoch eine gute Präventionsarbeit und einen funktionierenden Sozialstaat, damit sich Rieke, Thomas und Sarah wieder sicher fühlen. Deradikalisierung und frühestmögliche Prävention sind das zentrale Element einer modernen Sicherheitsarchitektur. Radikalisierung setzt immer häufiger schon in sehr jungen Jahren ein. Es müssen zivile - auch bereits vorhandene - Strukturen gestärkt werden, die in erster Linie bei der Ursache der Radikalisierung gemeinsam mit dem Umfeld der Betroffenen ansetzen. Vereine, Initiativen und Bildungsträger müssen vernünftig und dauerhaft finanziell ausgestattet werden. Projektträger müssen in der Lage sein, langfristig zu planen und flexibel auf neue Herausforderungen zum Beispiel im Bereich Integration reagieren zu können.

In der Diskussion über islamistische Gefährder in unserem Land werden andere Phänomene vernachlässigt. Seit 2015 haben wir es mit der größten Welle rechter Gewalttaten gegen Geflüchtete seit den frühen 1990er Jahren zu tun. Auch Formen sexualisierter Gewalt gehören seit langem zum Alltag. Eine Diskussion zum Umgang damit darf deswegen nicht ausschließlich wie bei der derzeitigen Regierung auf den Phänomenbereich der islamistischen Gefährder fokussiert sein. 

2. Thema: Integration von Geflüchteten

Khaled ist 24 und vor zwei Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen. Seit seiner Ankunft musste er mehrmals die Stadt wechseln, sein Asylverfahren dauerte über ein Jahr. Nun besitzt er zwar den Asylstatus und hat endlich einen Platz in einem Deutschkurs bekommen, doch er hat kaum Kontakt zur deutschen Kultur. In seinem Asylbewerberheim in einem kleinen Dorf weit weg von der Großstadt hat er sich lange Zeit isoliert gefühlt und konnte keinen richtigen Kontakt zu Deutschen knüpfen.

Wie wollen Sie Menschen wie Khaled in Zukunft besser und schneller in die deutsche Gesellschaft integrieren?

Antwort der Linken

Integration muss am ersten Tag beginnen und dazu gehört auch, dass Asylbewerber Deutsch lernen können, also dass genügend Sprachkurse angeboten werden. Die Zeit, in der die Asylbewerber auf ihre Asylverfahren warten, soll sinnvoll genutzt werden. Asylsuchende und Geduldete wollen Deutsch lernen doch die Wartezeit auf einen Kursbeginn betrug letztes Jahr knapp drei Monate. DIE LINKE fordert frühzeitige Integrations- und Sprachkurse, auch wenn die Aufenthaltsdauer unklar oder nur kurz ist. Nur so wird Khaled ermöglicht, sich in der Gesellschaft einzufinden und man kann schauen, welche Qualifikationen da sind. DIE LINKE fordert ausländische Qualifikationen unbürokratisch anzuerkennen. Bei Bedarf müssen ergänzende Qualifizierungen angeboten werden. Erleichterungen muss es auch bei der Ausbildungsförderung geben. Doch die Regelungen sind sehr kompliziert, es gibt zahlreiche Ausnahmen und die geplanten Wartefristen sind insbesondere für Geduldete viel zu lang. Eine begleitende Öffnung beim Bundesausbildungsförderungsgesetz fehlt. Die Aufenthaltsregelung für Auszubildende stellt zwar eine Verbesserung dar, doch die Betroffenen sollen weiterhin nur geduldet werden. Betriebe werden mit einem Bußgeld von bis zu 30.000 Euro bedroht, wenn sie einen Ausbildungsabbruch nicht melden. Das schafft weder Vertrauen noch Sicherheit.

Immer länger müssen Asylbewerber auf einen Bescheid der Behörden warten, ob sie bleiben dürfen oder nicht. So ergab die Antwort der Bundesregierung vom 17.08.2017 auf unsere Kleine Anfrage: Im vierten Quartal 2016 brauchte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im Schnitt 8,1 Monate, um einen Bescheid auszustellen. 2015 lag der Durchschnittswert noch bei 5,2 Monaten. Das ist unzumutbar für die Betroffenen und für die Aufgabe ihrer Integration eine große Bürde. Integration bedeutet vor allem Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, sodass Einzelpersonen wie Khaled oder ganze Gruppen gleichberechtigte Möglichkeiten der Artikulation ihrer Interessen erhalten und vor individueller und kollektiver Ausgrenzung geschützt werden. Integration heißt daher im Kern Herstellung von Chancengleichheit und muss die soziale, wirtschaftliche und gesellschaftliche Teilhabe für alle Migrantinnen und Migranten als Ziel haben. Integrationspolitisch äußerst fragwürdig ist nach unserer Meinung die vor einem Jahr im Integrationsgesetz verankerte Wohnsitzauflage. Sie betrifft anerkannte Flüchtlinge und zwingt sie unter bestimmten Voraussetzungen, am Ort wohnen zu bleiben, zu dem sie während ihres Asylverfahrens zugewiesen wurden. Diese fortdauernde Residenzpflicht und Einschränkung der Freizügigkeit soll bis zu drei Jahre nach der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft aufrechterhalten werden. Dahinter steckt die Zuweisung von anerkannten Flüchtlingen in leer stehenden Wohnraum. Wohnungs- statt Lagerunterbringung ist natürlich zu begrüßen, nicht aber, wenn dies ins wirtschaftliche Abseits führt.

3. Thema: Hatespeech/Fake News im Internet

Lisa (16) ist täglich mehrere Stunden bei Instagram, Snapchat und Facebook unterwegs und veröffentlicht dort kleine Texte, Fotos und Videos aus ihrem Alltag. Oft bekommt sie mit, wie sich andere Nutzer heftig beleidigen oder fragwürdiges Gedankengut verbreitet wird. Wenn sie die Inhalte bei Facebook meldet, passiert aber meistens gar nichts.
Ihr Klassenkamerad Justus nutzt wie die meisten in seiner Altersklasse hauptsächlich Facebook als Informationsquelle im Netz. Dort werden aber auch Falschmeldungen verbreitet und Justus weiß manchmal nicht, was er glauben kann.

Wie wollen Sie gegen Phänomene wie Hatespeech und Fake News konkret vorgehen?

Antwort der Linken

Durch die folgenden drei Maßnahmen:

Erstens sollen Hatespeech oder Mobbing sowie Beleidigung, Verleumdung und Volksverhetzung durch die Unternehmen zur Anzeige gebracht und nach gerichtlicher Entscheidung gelöscht werden. Meldet demnach ein Nutzer oder eine Nutzerin beispielsweise einen Post auf Facebook als Hasspropaganda, müsste das Unternehmen diesen Hinweis, sofern dieser nicht völlig unbegründet ist, an Polizei oder Staatsanwaltschaft weitergeben. Dazu hätte das Unternehmen sein bislang unzureichendes Melde- und Beschwerde-Managementsystem erheblich zu verbessern und sind die zuständigen Strafverfolgungsbehörden technisch und personell besser auszustatten. Das kürzlich beschlossene, von uns abgelehnte Netzwerksdurchsetzungsgesetz aus dem Hause von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hingegen hat einen völligen falschen Ansatz. Mit ihm wird die Bewertung, ob etwas rechtswidrig ist, und die Durchsetzung geltenden Rechts an Facebook delegiert, somit die Rechtsdurchsetzung in der digitalen Sphäre privatisiert. Da den Betreibern von sozialen Netzwerken zugleich hohe Geldstrafen drohen, geht von dem Gesetz eine Gefährdung der Meinungsfreiheit durch übermäßiges Löschen aus Angst vor Bußgeldern aus.

Zweitens wollen wir Manipulationsversuchen öffentlicher Meinung durch Transparenzpflichten und Beschränkungen im Kerngeschäft sozialer Netzwerke – Profile Targeting, Marketing Promotion und Werbung, die zum Transport solcher Manipulationen genutzt werden – entgegentreten. Falschmeldungen von Dritten also, die gezielt und massenhaft mittels den von Facebook & Co. für kommerzielle Zwecke angebotenen Analyse- und Werbetools gesteuert werden, könnten erkannt und die Unternehmen bis hin zu Sanktionen in ihrem Kerngeschäft in die Verantwortung genommen werden.

Drittens wollen wir Medienbildung an Schulen als festen Bestandteils des Unterrichts etablieren. Denn: Im Digitalzeitalter sollten bereits Kindern und Jugendlichen die analytischen Fähigkeiten vermittelt werden, um Medien und Medieninhalte zu verstehen, kritisch zu bewerten sowie selbst in vielfältigen Kontexten zu kommunizieren. Der Umgang mit fragwürdigen Medieninhalten kann erlernt werden, Falschmeldungen sind mit etwas Übung durchaus erkennbar.