Blick in den Seziersaal des anatomischen Instituts mit Mastertisch - dort werden den Studenten die ersten Schnitte gezeigt bevor sie dann an eigenen Tischen das Skalpell anlegen.
Bildrechte: Saskia Hölzel

SPUTNIK Tagesupdate So krass ist eine Vorlesung am Seziertisch

01. Dezember 2017, 14:45 Uhr

Frau Prof. Dr. med. Kielstein von der Uniklinik Halle wurde von der UNICUM Stiftung zur Professorin des Jahres gewählt! Warum genau, das weiß die Direktorin des Anatomischen Instituts selbst nicht ganz. Um es herauszufinden, hat SPUTNIKerin Saskia an ihrem Sezier-Kurs teilgenommen.

Montagmorgen, 09:30 Uhr

Mit Neugier und Nervosität betrete ich das Anatomische Institut der Uni Halle. Mein Magen ist gefüllt mit einem Käsetoast, damit mir nicht flau wird. Allerdings nicht zu viel, falls es rückwärts wieder rauswandert.

Noch nie habe ich einen toten Menschen gesehen. Jetzt ist es so weit. Und ich werde nicht nur eine Leiche sehen, sondern gleich 22. Mit aufgeschnittenem Oberkörper, entnommenen Organen, an Rumpf und Becken geteilt.

Der erste Schritt ist der schwierigste

Das Anatomie-Institut sieht aus, wie man sich Universitäten aus dem letzten Jahrhundert vorstellt: Dunkle Möbel aus Massivholz, gefliester Boden, alte Schrifttafeln an den Wänden und eine ehrfürchtige Aura in den großen Hallen.

Kaum stehe ich im Foyer, kommt Frau Prof. Kielstein mit breitem Lächeln auf mich zugelaufen. Sie wirkt nicht wie jemand, der jeden Tag mit dem Tod konfrontiert ist. Ich lege meine Klamotten an einer Gaderobe ab, die wahrscheinlich älter ist als meine Oma. Bewaffnet mit grünem OP-Kittel und blauen Einweghandschuhen kann's losgehen.

Die Tür zum Leichensaal steht schon offen, von weitem sehe ich noch nichts außer die gefliesten weißen Wände des Raumes und große Fenster mit Milchglas. Frau Kielstein geht vor und guckt in den Saal: "Also nicht erschrecken, die ersten Leichen sind schon aufgedeckt. Man sieht auch ihr Gesicht."

Beim Schritt durch die Tür bleibt mein Herz gefühlt stehen. Werde ich umkippen? Wird mir schlecht werden? Kann ich diesen Anblick ertragen?

Die Leichen sehen aus wie Puppen

Vorsichtig stecke ich zuerst nur meinen Kopf durch die Tür und blicke direkt die erste Leiche an. Aber statt Schrecken, Übelkeit oder Schwindel überwiegt vor allem ein Gefühl: Ich bin überrascht! Sind das wirklich tote Menschen? Die Leichen sind konserviert und sehen dadurch fast aus wie Puppen.

Hätte mir jemand weis gemacht, dass das nur sehr lebensechte Übungspuppen sind, ich hätte es wahrscheinlich geglaubt. Naja, bis auf den Geruch. Der ist irgendwie süßlich und ziemlich gewöhnsbedürftig in Verbindung mit dem Tod - mir hängt er noch bis abends in der Nase.

Ich bin nicht allein

Frau Prof. Kielstein lässt mich während meiner ersten Schritte im Raum nicht aus den Augen. Sie fragt wie es mir geht, reagiert auf meine Empfindungen und beantwortet alle Fragen, die ich habe ganz geduldig und mit einem Lächeln. Ich fühle mich definitiv nicht beklommen dank ihrer lockeren Art.

Medizinstudenten und Tutoren im Seziersaal des anatomischen Instituts der MLU in Halle.
Bildrechte: Saskia Hölzel

Und es sind unglaublich viele Studenten in diesem Raum! Einen Anatomiekurs hatte ich mir immer sehr still vorgestellt - aber Fehlanzeige. Vor lauter Gewusel muss man aufpassen, wo man hintritt. Insgesamt gibt es 22 Tische, an jedem davon 5-7 Studenten, die rege diskutieren, schnippeln und auch mal lachen.